Der Wert der Sozialpartnerschaft und ihre Herausforderungen
Gemeinsam stärker – das ist Sozialpartnerschaft. Arbeitnehmenden- und Arbeitgebendenvertretungen setzen sich gemeinsam für das Wohl der Mitarbeitenden ein, Missverständnisse können zusammen behoben und Konflikte vermieden werden. Eine grosse Stärke der Schweiz, die sich aber auch mit Herausforderungen konfrontiert sieht. transfair wirft mit dir einen Blick auf das Thema Sozialpartnerschaft.
Wie alles begann
Zürich, 1937. Der Schweizerische Arbeitgebendenverband und die Gewerkschaften unterzeichnen eine fünfseitige Vereinbarung für die Uhren- und Metallindustrie. In diesem für die Schweiz erstmaligen Kollektivvertrag wurden eine absolute Friedenspflicht sowie ein mehrstufiges Schiedsverfahren festgehalten, ein bewusster Verzicht auf Kampfmassnahmen, wie Streiks oder Boykottaufrufe, zugunsten von gemeinsamen Konfliktlösungen am Verhandlungstisch. 1974 entstand daraus schliesslich der erste vollständige Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Schweiz. Der Arbeits- und soziale Frieden und damit auch die Erfolgsgeschichte der Schweizer Sozialpartnerschaft waren geboren.
Eine Stärke der Schweiz
Seither gilt die Sozialpartnerschaft in der Schweiz als wichtiger Faktor für den Interessenausgleich zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Zu Kerneigenschaften der Schweiz, wie der politischen und wirtschaftlichen Stabilität oder dem materiellen Wohlstand, hat die Sozialpartnerschaft entscheidend beigetragen. Nebst Arbeitsfrieden steht die Schweizer Sozialpartnerschaft aber auch für Dezentralisierung. Damit gemeint sind massgeschneiderte Lösungen für einzelne Branchen oder Unternehmen. Die Wissenschaft zeigt, dass sich dezentrale Sozialpartnerschaften positiv auf die Arbeitslosigkeit und die Einkommensungleichheit auswirken. Bis heute gilt die Schweizer Sozialpartnerschaft international als eines der Alleinstellungsmerkmale der Schweiz.
Kernstück GAV
Die in Verhandlungen erzielten Resultate halten die Vertragsparteien in einem GAV fest. Damit entsteht eine Verbindlichkeit für beide Seiten. Einen GAV können ein oder mehrere Arbeitgebende mit einem oder mehreren Arbeitnehmendenverbänden resp. Gewerkschaften abschliessen. Der Inhalt eines GAV besteht aus mehreren Teilen:
- Normative Bestimmungen, wie der Abschluss, der Inhalt oder die Beendigung des Vertrags. Dazu gehören beispielsweise die Ferien, die Arbeitszeit oder der Lohn.
- Schuldrechtliche Bestimmungen mit den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien.
- Bestimmungen über Kontrolle und Durchsetzung des GAV.
Inhalte eines GAV können nur angepasst werden, wenn beide Seiten einverstanden sind. Ist dies nicht der Fall, können beide Parteien zu definierten Themen ein Schiedsgericht anrufen, das einen endgültigen Entscheid trifft. Dieser Entscheid ist lediglich vor dem Bundesgericht anfechtbar.
GAV bilden damit oft das zentrale Arbeitsinstrument in der Sozialpartnerschaft.
Sozialpartnerschaft im Service Public
Als Personalverband des Service Public sieht sich transfair in seinen Sozialpartnerschaften mit unterschiedlichen Realitäten konfrontiert. Auf der einen Seite stehen die Branchen mit diversen GAV, wie der Öffentliche Verkehr, Post & Logistik oder ICT. Mit den meisten Sozialpartnern der Branche, wie den grössten Arbeitgebenden der Schweiz, so SBB, Post oder Swisscom, pflegt transfair eine Sozialpartnerschaft, bei der Lohn- und GAV-Verhandlungen dazugehören. Insbesondere die Branche Post & Logistik schliesst aber zunehmend auch GAV im Bereich des Privatsektors ab.
transfair pflegt mit all seinen Sozialpartnern eine stabile Beziehung auf Augenhöhe. Diskussionen und Diskurssituationen gehören genauso dazu wie Fairness, Vertrauen und das Wissen, dass die Sozialpartnerschaft funktioniert und einen Mehrwert für alle bringt.
Spezialfall Öffentliche Verwaltung
Auf der anderen Seite findet sich im Service Public ein Spezialfall, die Öffentliche Verwaltung. Diese Branche kennt keine GAV, sondern mit dem Bundespersonalgesetz (BPG) eine eigene, vom Obligationenrecht unabhängige Rechtsbasis für die Anstellungsbedingungen. Dennoch werden auch in dieser Branche Lohnverhandlungen geführt und personalrelevante Themen mit den Verbänden des Bundes diskutiert. Dies wird bei der Bundesverwaltung im BPG sowie in einer Absichtserklärung festgehalten. Die Verbindlichkeit ist jedoch geringer als bei vorliegenden GAV.
Aufgrund der geringeren Verbindlichkeit in der Branche der Öffentlichen Verwaltung gestalten sich Verhandlungen schwieriger. Im Gegensatz zu Sozialpartnerschaften mit GAV muss sich die Arbeitgebendenseite dieser Branche nicht mit den Personalverbänden einigen. Dies kann im Extremfall zum Scheitern von Verhandlungen führen, wie dies letztes Jahr bei den Lohnverhandlungen mit dem Bund und dem ETH-Bereich der Fall war. Mit gemeinsamen Absichtserklärungen beider Seiten kann diese Verbindlichkeit aber erhöht werden. Beim Bund haben die Sozialpartner am 13. Februar die neue Absichtserklärung unterzeichnet. Im ETH-Bereich wird das Thema nun auf den Tisch gebracht.
Herausforderungen der Sozialpartnerschaft
Auch dort, wo GAV vorhanden sind, bestehen verschiedene Herausforderungen. Eine erste Schwierigkeit ist die Koordination der Personalverbände und Gewerkschaften untereinander. Auch wenn am Ende des Tages stets die Arbeitnehmenden im Fokus aller Verbände stehen, setzen sie teils andere Prioritäten. Diese gilt es in gemeinsamen Diskussionen und Absprachen so auszuloten, dass bestenfalls eine gemeinsame Positionierung möglich wird. Oft klappt das, manchmal aber auch nicht. Dann braucht es Diskussionsbereitschaft und viel Geduld, um zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen.
Was zwischen den Verbänden bereits eine Herausforderung ist, ist umso mehr eine zwischen den Sozialpartnern. Zu Beginn liegen die Positionen der Arbeitgebenden- und Arbeitnehmendenvertretungen weit auseinander. Es benötigt ausgeprägtes Verhandlungsgeschick und oft auch kreative Ideen, um die Positionen während mehreren Verhandlungsrunden zusammenzubringen.
Wie in jeder gut funktionierenden Partnerschaft ist auch in der Sozialpartnerschaft Vertrauen das oberste Gut. Beide Seiten müssen sich aufeinander verlassen können. Besteht zu viel Misstrauen, wird eine Kompromissfindung nicht möglich sein. Es gilt, die Sozialpartnerschaft deshalb ständig zu pflegen, sodass auf guter Vertrauensbasis auch weiterhin die bestmöglichen Lösungen im Sinne der Arbeitnehmenden gefunden werden können.
Die Zukunft der Sozialpartnerschaft
Mit den anstehenden grossen Veränderungen der Arbeitswelt, ausgelöst durch künstliche Intelligenz und zunehmende Automatisierung, wird sich auch die Sozialpartnerschaft verändern. Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus und welche Rechte und Pflichten haben Arbeitnehmende im Zusammenhang mit den neuen Technologien?
Zu zentralen Fragestellungen gibt es heute noch keine Antworten. Klar ist, dass in naher Zukunft gewichtige Entscheidungen rund um die Arbeitswelt getroffen werden. Umso wichtiger ist es, dass die Interessen der Arbeitnehmenden in diesen Diskussionen stark vertreten sind. Der Sozialpartnerschaft kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Durch konstruktiv gelebte und gut gepflegte Sozialpartnerschaften wird sich transfair in seinen Branchen einbringen und die Arbeitswelt der Zukunft ganz im Sinne seiner Mitglieder und der Arbeitnehmenden mitgestalten können.