Gute Führung, schlechte Führung: Leadership im öV
Am 7. November fand in Thun der diesjährige Branchenkongress öffentlicher Verkehr von transfair statt. Der Themenfokus: Leadership. Mit dabei waren die CEOs der BLS und der Appenzeller Bahnen sowie der HR-Chef der SBB.
Im Saal 5 des Kino Rex in Thun läuft heute kein Film. Dennoch gibt es auch an diesem Donnerstag Spannung, Emotionen und scharfsinnige Dialoge. Der Rahmen: Der Branchenkongress öffentlicher Verkehr 2024 von transfair. Der Themenfokus: Leadership – gute und schlechte Unternehmensführung.
Themen, die transfair und den öV beschäftigen
Zunächst gibt Branchenleiter Bruno Zeller einen Rück- und Ausblick zu Themen, die transfair aktuell beschäftigen:
- Liberalisierung des Internationalen Schienenpersonenverkehrs: «Unser Hauptanliegen ist es, auch bei möglichen ausländischen Anbietern gute Sozialstandards sicherzustellen», sagt Zeller. Dazu gibt es eine Weisung des Bundesamtes für Verkehr. «Diese ist sehr mager und muss angereichert werden. Idealerweise kommen die Standards auf Stufe des SBB-GAV.»
- Knappe finanzielle Mittel: Der Bund hat weniger Geld für die Deckung der covidbedingten Verluste im Fernverkehr gesprochen, als erhofft. Zudem will er in den nächsten Jahren zu wenig in den öffentlichen Verkehr investieren – ob in den Substanzerhalt der Bahninfrastruktur oder den Güterverkehr gemäss neuem Gütertransportgesetz. «Und auch beim Regionalen Personenverkehr soll gespart werden», sagt Zeller. transfair hält dagegen.
- Lohnverhandlungen 2025: transfair hat sich Lohnerhöhungen von 2 bis 3 Prozent zum Ziel gesetzt. Die Lohnverhandlungen mit der SBB haben bereits begonnen. «Erwartungsgemäss liegen die Positionen der Sozialpartner weit auseinander», sagt Zeller.
- Mehr Sicherheit im öffentlichen Verkehr: transfair ist Partner der SBB-Kampagne für mehr Respekt im öffentlichen Verkehr. Diese startet aktuell. «Sicherheitsdienste wie die Transportpolizei der SBB müssen gestärkt werden», sagt Zeller.
Mehr Informationen zu den laufenden Geschäften von transfair gibt es hier.
«Wir müssen über Werte streiten!»
Nach den Informationen des Branchenleiters liegt der Ball nun bei den rund 70 Teilnehmenden des Kongresses: In einer Abstimmung nehmen sie die Öffnung der jährlichen Veranstaltung für alle Mitglieder an und bestätigen den bisherigen Branchenvorstand. Beides passiert fast einstimmig.
Gleich darauf wirbt Leonardo Spata, Leiter Führungsweiterbildung der SBB, in seinem Input-Referat für weniger Harmonie. Dabei bezieht er sich natürlich nicht auf die Abstimmung im Saal, sondern auf die Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. «Es darf Reibung geben – so entsteht Authentizität», ist Spata überzeugt. Er selbst sei einst ein unbequemer Angestellter gewesen, der sich mit seinem Chef über Zielvorgaben gestritten habe. Dieser machte ihn daraufhin zu seinem Stellvertreter. «Er hat mich in die Verantwortung genommen, die Ziele mitzugestalten. Das hat mich geprägt.»
Heute trainiert Spata SBB-Führungskräfte in Kommunikation und wertebasiertem Leadership. Die Unternehmenswerte der SBB sind dabei nur die Basis. «Wir müssen uns über die Werte streiten, dann werden sie auch lebendig.» Schliesslich hätten wir alle unterschiedliche Interpretationen, je nach Lebensumständen und Bedürfnissen. Nur wenn Vorgesetzte mit ihren Mitarbeitenden in den Dialog träten, könne das gemeinsame Ziel erreicht werden: Menschen und Güter sicher ans Ziel bringen.
Wie gut ist das Leadership bei der SBB, Herr Jordi?
Wie aber steht es um die Führungsqualität bei der SBB auf einer Skala von 1 bis 10? «Zwischen 7 und 8», sagt SBB-HR-Leiter Markus Jordi in der Podiumsdiskussion am Nachmittag. Dabei stützt er sich auf die Ergebnisse der letzten Personalumfrage. BLS-CEO Daniel Schafer und Appenzeller-Bahnen-Direktor Thomas Baumgartner nennen eine glatte 8. Genau genommen sei es sogar eine 8,5, präzisiert Baumgartner. Die Führung werde bei den Appenzeller Bahnen gut bewertet. «Wir haben bei anderen Punkten Nachholbedarf.»
«Auf Stufe des Konzerns sieht die Situation immer super aus», wirft Branchenleiter Bruno Zeller ein. «In den einzelnen Bereichen und Teams sehen wir aber enorme Probleme mit Führungspersonen.» Jordi kontert: «Die SBB hat etwa 3500 Vorgesetzte. Wenn 350 ihren Job nicht gut machen, sind das nur zehn Prozent.»
Fehlerkultur begrenzt möglich
Dennoch sind sich alle einig: Gewisse «Lehmschichten» zwischen den Hierarchien bestehen, insbesondere bei den grösseren Unternehmen SBB und BLS. Bei der Letzteren kämen Führungsfehler zum Beispiel oft nicht an die Oberfläche. «Es gibt eine extreme Angst, Fehler zu machen», sagt Daniel Schafer. Also werden Fehler verheimlicht. «Ich weiss hier nichts anderes, als die Kultur zu entwickeln und zu sagen: ‘Ihr dürft Fehler machen, sollt aber daraus lernen!’» In einer Branche, wo Fehler tödlich sein können, hat eine Fehlerkultur allerdings auch immer Grenzen. «Gewisse Fehler dürfen nicht passieren», so Schafer. «Gewisse aber durchaus. Mir passieren sie täglich.»