Gleiches Rentenalter, gleicher Lohn?
Im September 2022 hat die Schweiz der Erhöhung des Frauenrentenalters zugestimmt. Frauen und Männer sind nun beim Rentenalter gleichgestellt. Was bleibt, sind zahlreiche andere Ungleichheiten auf Kosten der Frauen: allen voran die Lohnungleichheit. Doch was wird in der Schweiz eigentlich gegen Lohnungleichheit unternommen? – transfair berichtet.
Der Geschlechtergraben hat sich geöffnet: Am 25. September 2022 hat das Schweizer Stimmvolk der Erhöhung des Frauenrentenalters knapp zugestimmt. Es wird erneut auf Kosten der Frauen gespart, und das, obwohl Frauen bereits heute rund um einen Drittel tiefere Renten erhalten als die Männer. Insbesondere die Befürworter der AHV-21-Revision bezogen sich in ihren Kampagnen oft auf das Argument der Gleichstellung: Frauen, die mehr Gleichstellung wollen, sollen auch gleich lange arbeiten wie Männer. Künftig wird nun gleich lange gearbeitet, aber zu welchen Bedingungen?
Gemäss den aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (2018) erhalten Frauen im Durchschnitt in der Gesamtwirtschaft noch immer jeden Monat 19 Prozent oder 1512 Franken weniger Lohn als Männer. 45,4 Prozent dieser Differenz können nicht durch objektive Faktoren, wie die berufliche Stellung oder das Ausbildungsniveau, erklärt werden. Somit besteht eine strukturelle Lohndiskriminierung. Frauen verdienen nur aufgrund ihres Geschlechts 8,6 Prozent weniger Lohn als Männer. Monetär gesprochen bedeutet das 684 Franken weniger Lohn – im privaten Sektor steigt die Einbusse sogar bis 1324 Franken an. Die Lohndifferenzen nehmen im Zeitverlauf sogar noch zu.
Was unternimmt die Schweiz gegen Lohndiskriminierung?
1996 wurde in der Schweiz das Gleichstellungsgesetz (GIG) in Kraft gesetzt. Das Gesetz soll die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann bezwecken. Es umfasst Abschnitte zur Gleichstellung im Erwerbsleben, zu besonderen Bestimmungen für Arbeitsverhältnisse nach Obligationenrecht, Rechtsschutz bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen, Finanzhilfen sowie zum Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann.
2020 wurde das GIG um einen neuen Abschnitt zur Lohngleichheitsanalyse und Überprüfung ergänzt. Seit 2020 sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmenden dazu verpflichtet, für das betreffende Jahr eine betriebsinterne Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Diese Analyse soll alle vier Jahre wiederholt werden – jedoch nur, wenn gemäss Analyse die Lohngleichheit nicht eingehalten wurde. Die Lohngleichheitsanalyse muss von einem zugelassenen Revisionsunternehmen oder einer Arbeitnehmervertretung überprüft werden. Anschliessend müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Aktionärinnen und Aktionäre bis spätestens ein Jahr nach Abschluss der Überprüfung schriftlich über die Ergebnisse der Analyse informiert werden. Am 1. Juli 2032 ist der ganze Zauber dann auch vorbei: Das Parlament hat die Geltungsdauer der Lohngleichheitsanalyse auf 12 Jahre beschränkt («Sunset-Klausel»). Danach erlischt die Pflicht zur Lohngleichheitsanalyse wieder, selbst wenn noch Lohnungleichheiten bestehen.
5 Prozent Toleranz bei Lohndiskriminierung?
Logib sieht aktuell eine Toleranzschwelle von 5 Prozent vor. Weisen Unternehmen eine unerklärte Lohndifferenz von unter 5 Prozent auf oder weicht diese nicht signifikant von 5 Prozent ab, besteht gemäss Logib keine Lohndiskriminierung. Die 5-Prozent-Toleranzschwelle wird aber weder im GIG noch in einer Verordnung aufgeführt. Auch methodisch und juristisch lässt sich diese Schwelle nicht rechtfertigen. Wie der Antwort des EBG zu entnehmen ist, handelt es sich um ein 20-jähriges Kontrollinstrument aus dem Beschaffungswesen. Die Argumente, dass die 5-Prozent-Toleranzschwelle neu überdenkt werden sollte und vielleicht mehr als nur «grosszügig» ist, sind zahlreich.
Das zeigt auch die Forschung: Eine Untersuchung für das Gleichstellungsbüro des Kantons Waadt kommt zum Schluss, dass bei Anwendung der 5-Prozent-Toleranzschwelle 80 Prozent der Unternehmen keine Lohndiskriminierung aufweisen. Wird hingegen eine 0-Prozent-Toleranzschwelle berücksichtigt, so wird bei über 50 Prozent der Unternehmen eine unerklärte Lohndifferenz festgestellt – und Handlungsbedarf offengelegt.
Auf die Problematik der 5-Prozent-Toleranzschwelle weisen auch die aktuellsten Ergebnisse der Lohnanalyse der Bundesverwaltung hin. Zwei Verwaltungseinheiten des Bundes, die Logistikbasis der Armee (LBA) und das Information Service Center WBF (ISCeco), weisen Lohndifferenzen von über fünf Prozent auf. Bei der LBA weicht der Wert aber nicht signifikant von den fünf Prozent ab. Aufgrund der Toleranzschwelle wurde der Wert von der Bundesverwaltung durchgewinkt.
Die aufgeführten Diskrepanzen sind schockierend und aufschlussreich zugleich – die 5-Prozent-Toleranzschwelle ist ein Relikt der Vergangenheit und gehört abgeschafft.
Was unternimmt transfair gegen Lohndiskriminierung?
transfair hat die jüngsten Ereignisse zum Anlass genommen, politisch aktiv zu werden. Zusammen mit Co-Präsidentin und Nationalrätin Greta Gysin wurden in der vergangenen Herbstsession zwei Motionen zur Anpassung des Gleichstellungsgesetzes eingereicht.
Eine zentrale Forderung beider Motionen ist die Abschaffung der 5-Prozent-Toleranzschwelle. Anstelle der fünf Prozent soll künftig eine Nulltoleranz mit statistischem Signifikanztest gelten. Das heisst, dass sich Lohndifferenzen nur signifikant von null, aber nicht von fünf unterscheiden dürfen. Da die Toleranzschwelle bisher nicht im Gesetz verankert ist, soll der Signifikanztest im GIG ergänzt werden, damit dieser auch rechtliche Substanz erhält.
Weiter wird gefordert, dass die Lohnanalysen regelmässiger wiederholt werden sollen. Die einzige Sanktion, welche einem Unternehmen mit ausgewiesener Lohndiskriminierung heute droht, ist, dass das Unternehmen die Lohnanalyse alle vier Jahre wiederholen muss. Zeigt die Lohnanalyse, dass keine Lohnungleichheit besteht, ist das Unternehmen von der Analysepflicht befreit. Weist ein Unternehmen heute keine Lohndiskriminierung auf, heisst das aber noch lange nicht, dass es in Zukunft keine haben wird. Eine der beiden Motionen fordert daher eine für alle Unternehmen alle vier Jahre verpflichtende Wiederholung der Lohngleichheitsanalyse. Unternehmen, die eine von null abweichende Lohndifferenz zwischen Mann und Frau aufweisen, sollen die Analyse bereits nach zwei Jahren wiederholen müssen.
Unternehmen sollen darüber hinaus gesetzlich verpflichtet werden, Lohnanalysen im Rahmen der bestehenden arbeitsmarktlichen Kontrollen durchzuführen. Bisher sieht das GIG keine Kontrolle und insbesondere auch keine Sanktionen vor im Falle, dass die Lohngleichheit nicht eingehalten wird. transfair fordert, dass Unternehmen bei unerklärten Lohndifferenzen verpflichtet werden, wirksame und zweckmässige Massnahmen zu ergreifen. Geschieht dies nicht innerhalb von vier Jahren, sollen Unternehmen dafür sanktioniert werden.
Eine letzte Forderung betrifft die Rolle der Arbeitnehmervertretungen: Künftig soll in einem zusätzlichen Artikel des GIG geregelt werden, dass Arbeitgebende auch die Vertretung der Arbeitnehmenden über die Ergebnisse ihrer Lohnanalysen informieren müssen. Über eine zusätzliche Information der Arbeitnehmendenvertretung könnte sowohl die Kommunikation als auch die Wirkung der Analysen verbessert werden und die Vertretungen können ihrer Pflicht den Arbeitnehmenden gegenüber besser nachkommen.
Travail.Suisse und transfair im Einsatz für die Lohngleichheit
Nebst den politischen Vorstössen setzen sich Travail.Suisse und seine Verbände, darunter auch transfair, mit dem Projekt RESPECT8-3.CH für die Bekämpfung der Lohndiskriminierung in der Schweiz ein. RESPECT8-3.CH setzt sich gegen die Lohndiskriminierung durch die Schaffung von Transparenz ein. Auf der Website können sich alle Unternehmen auf der sogenannten «Weissen Liste» eintragen lassen, die sich ans Gleichstellungsgesetz halten. Auch Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitenden können sich freiwillig eintragen. Damit setzen Unternehmen, denen die Lohngleichheit wichtig ist, ein deutliches Zeichen.
Wie funktioniert das Lohngleichheitsinstrument Logib?
Logib ist ein Webtool, mit welchem Unternehmen und Organisationen ihre Lohnpraxis auf Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern analysieren können. Logib hat zwei Module, wobei Modul 1 für grössere Betriebe ab 50 Mitarbeitenden geeignet ist. Kleinere Unternehmen können Modul 2 verwenden. Unter www.logib.admin.ch führt das Tool in 7 Schritten zur Analyse.
Welche Resultate liefert Logib?
Je nach Modul weist Logib das Ergebnis der Analyse in unterschiedlicher Form aus. Bei Modul 1 gibt es ein Ampelsystem (grün, orange, rot), welches Aufschluss darüber gibt, ob ein Hinweis darauf gefunden wurde, dass Frauen und Männer durchschnittlich für gleichwertige Arbeit ungleich entlöhnt werden. Bei Modul 2 gibt ein Gesamtscore Auskunft darüber, ob es Anzeichen für geschlechtsspezifische Ungleichgewichte gibt. Dazu liefert das Tool weitere relevante Kennzahlen und Grafiken, die Aufschluss über geschlechtsspezifische Unterschiede geben.
Was sind die Vorteile von Logib?
Logib ist ein kostenloses Webtool, das der Bund allen Unternehmen und Organisationen zur Verfügung stellt. Es ist einfach, sicher in der Handhabung und anonym – es werden keine Daten gespeichert oder weitergeleitet. Logib ist wissenschaftlich und rechtskonform und wurde mehrfach ausgezeichnet. Es eignet sich auch für die Lohngleichheitsanalyse, die das Gleichstellungsgesetz für Arbeitgebende mit 100 oder mehr Mitarbeitenden vorsieht.
Und was die Nachteile?
Je nach Unternehmensgrösse und der Datenqualität in der Personalbuchhaltung nimmt die Durchführung der Lohngleichheitsanalyse etwas Zeit in Anspruch. Sobald die Daten aufbereitet und eingelesen werden, ist die Auswertung in wenigen Minuten verfügbar.
Weshalb sieht Logib bei Lohndiskriminierung (unerklärter Lohndifferenz) eine 5-Prozent-Toleranzschwelle vor?
Die in Modul 1 verwendete Toleranzschwelle von fünf Prozent ist eine grosszügige Sanktionsschwelle, welche vor 20 Jahren bei der Einführung von Logib als Kontrollinstrument im Beschaffungswesen eingeführt wurde. Alle Unternehmen müssen Frauen und Männern in jedem Fall für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn bezahlen, denn das Gleichstellungsgesetz sieht keine Toleranzschwelle vor.