Wiedereinstieg in den Beruf – ein steiniger Weg
Frauen, die nach einer Familienpause zurück in den Beruf wollen, haben es schwer. Das darf nicht sein, finden transfair und der Arbeitnehmenden-Dachverband Travail.Suisse. Im Interview sagt Valérie Borioli Sandoz, Leiterin Gleichstellungs- und Vereinbarkeitspolitik bei Travail.Suisse, was sich ändern muss.
Interview mit Valérie Borioli Sandoz
In der Schweiz versuchen pro Jahr tausende Frauen, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Warum sind vor allem Frauen betroffen?
Valérie Borioli Sandoz: Ganz einfach: Frauen legen nach wie vor viel häufiger eine Familienpause ein als Männer. Allerdings geben sie ihre Stelle nicht immer freiwillig auf.
Was heisst das?
Es gibt leider Fälle, in denen Unternehmen verheiratete Frauen um ihren 30. oder 35. Geburtstag herum kündigen, nur weil sie Mütter werden könnten. Oder sie entlassen Frauen nach dem ersten Kind – schliesslich besteht die «Gefahr», dass sie ein zweites bekommen.
Warum ist es wichtig, dass Frauen ihren Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden?
Arbeit bedeutet häufig Selbstverwirklichung – diese sollte beiden Geschlechtern offenstehen. Angesichts der steigenden Kosten für Miete oder Krankenkasse stärkt ein Wiedereinstieg aber auch die finanzielle Sicherheit der Familie. Zudem verbessert sich die soziale Absicherung, weil Frauen eine zweite Säule aufbauen können, sofern ihr Pensum hoch genug ist. Und vielleicht bleibt sogar noch etwas für eine dritte Säule.
Aber auch für die Wirtschaft ist die Rückkehr der Frauen in den Arbeitsmarkt zentral.
Richtig. Bis 2050 werden der Schweiz je nach Studie zwischen 430 000 und 1,2 Millionen Fachkräfte fehlen. Unternehmen sind darauf angewiesen, dass Frauen zurück in den Arbeitsmarkt kommen.
Warum haben es Wiedereinsteigerinnen immer noch so schwer, eine Stelle zu finden?
Frauen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden, bleiben ihm durchschnittlich fünf Jahre fern. In dieser Zeit kann viel passieren. Denk zum Beispiel nur, was sich in den letzten Jahren technisch alles verändert hat. Viele Wiedereinsteigerinnen sind in ihren Berufen nicht mehr up to date. Kommt hinzu: Ihr soziales und berufliches Netzwerk ist oft nicht sehr vielfältig und bei der Stellensuche wenig hilfreich. Zudem leiden Wiedereinsteigerinnen häufig an einem schlechten Selbstwertgefühl. Wirtschaft und Gesellschaft schätzen kaum wert, was sie während der Familienarbeit geleistet und welche Kompetenzen sie erworben haben.
Gibt es auch finanzielle Hürden für einen Wiedereinstieg?
Ja. Einerseits sind da die Kosten für die externe Kinderbetreuung. Diese gehen in der Schweiz stark zulasten der Eltern. Viele Familien wägen deshalb ab, ob es sich finanziell überhaupt lohnt, wenn beide Elternteile arbeiten gehen. Andererseits ist die Finanzierung von Weiterbildungs- und Lebenshaltungskosten während des Wiedereinstiegs eine Herausforderung. Wiedereinsteigerinnen haben oft keinen Zugang zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder erfüllen die Kriterien für den Erhalt eines Stipendiums wegen der Altersgrenze nicht mehr.
Was braucht es, damit der Wiedereinstieg einfacher gelingt?
Travail.Suisse setzt sich dafür ein, dass der Bund auf Ebene der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) ein Pilotprogramm lanciert. Dieses soll Wiedereinsteigerinnen etwa mit Bildungsgutscheinen und Stipendien unter die Arme greifen. Die Massnahmen sollen auf die spezifischen Bedürfnisse von Wiedereinsteigerinnen eingehen. Wichtig wäre deshalb auch ein mehrmonatiges Coaching, das die Wiedereinsteigerinnen individuell abholt und sie zum Beispiel im Bewerbungsprozess unterstützt.
Stehen auch Unternehmen in der Pflicht, den Wiedereinstieg zu erleichtern?
Ja, eine familienfreundliche Unternehmenskultur ist essenziell. Dazu zählen zum Beispiel flexible Arbeitszeiten, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Aber auch Arbeitnehmende müssen flexibel sein. Wer länger nicht gearbeitet hat, braucht vielleicht einen Realitätscheck, welches Pensum in seiner Branche und Position realistisch ist. Auch hier kann Coaching helfen.
Familienfreundliche Arbeitsbedingungen können auch präventiv dafür sorgen, dass Frauen gar nicht erst aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.
Richtig, zum Beispiel grosszügige Regelungen für den Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub. Am einfachsten und wirksamsten wäre hier jedoch eine mehrmonatige und gut bezahlte staatlich festgelegte Elternzeit. Zudem braucht es auch vor und während der Familiengründung gezielte Beratung und Prävention. Werdende Eltern müssen zum Beispiel wissen, welche finanziellen Konsequenzen ein kompletter beruflicher Ausstieg hat. Diese Rechnung können Betroffene aktuell auf der Website cashorcrash.ch machen.
Marianne und das Glück - Praxisbeispiel 1
Der Wiedereinstieg von Marianne Sandoz ist zwar schon länger her, doch ihre Geschichte könnte gut auch heute spielen. Wie viele Wiedereinsteigerinnen aktuell meisterte auch sie ihre Rückkehr ins Berufsleben auf eigene Faust – ohne Beratung oder finanzielle Unterstützung. Dass sie am Ende trotzdem schnell erfolgreich war, verdankte sie vor allem dem Glück. Aber von Anfang an.
Wiedereinstieg nach zwölf Jahren
1998 verlor Mariannes Mann seine Stelle. Und die ausgebildete Sekretärin sagte sich: Jetzt muss ich ran! Damals hatte die dreifache Mutter seit zwölf Jahren nicht mehr gearbeitet.
Die heute 65-Jährige machte sich auf Stellensuche. «Das war nicht leicht für mich», sagt sie. «Ich machte mir Sorgen, schliesslich hatte ich seit Ewigkeiten keine Bewerbung mehr geschrieben oder ein Vorstellungsgespräch gehabt.» Doch die Neuenburgerin hatte per Zufall die richtigen Connections: Über eine Freundin fand sie eine Stelle in einem Finanzbetrieb, der eine englischsprachige Sekretärin suchte – nach nur einem Monat. Ein Glück, von dem viele andere Frauen nur träumen können.
Das Zauberwort: Flexibilität
Damit die Zusammenarbeit klappte, waren Mariannes Arbeitgeber wie auch sie selbst so flexibel wie möglich. «Ich konnte zum Beispiel 50 Prozent arbeiten, um weiterhin für meine Kinder da zu sein.» Im Gegenzug sprang Marianne auch mal ausserplanmässig ein, wenn sie gebraucht wurde. «Es war ein Geben und ein Nehmen.»
Flexibilität pur - Praxisbeispiel 2
Beide gehen arbeiten, beide betreuen die Kinder: Auf dieses Modell haben sich Barbara Naef (38) und ihr Mann noch vor der Familiengründung geeinigt. Als Barbara dann vor elf Jahren schwanger wurde, wandte sie sich mit dem Wunsch an ihren Arbeitgeber, mit reduziertem Pensum weiterzuarbeiten. Barbara ist Zugsverkehrsleiterin bei der SBB.
Familienfreundliche Einteilung
«Mein Arbeitgeber ist sehr bemüht, Fachkräfte im Unternehmen zu halten», sagt die Ostschweizerin. Deshalb bot er Barbara nach einem unbezahlten verlängerten Mutterschaftsurlaub eine 50-Prozentstelle an.
Damit aber nicht genug. Barbara: «Mein Mann arbeitet in derselben Funktion bei der SBB, das heisst in allen möglichen Schichten.» Weil externe Kinderbetreuung schwierig ist, wenn ein Elternteil schlafen muss und der andere um 4 Uhr früh zur Arbeit fährt, erklärten sich die SBB bereit, die Arbeitseinteilung für die Familie so zu übernehmen, dass immer ein Elternteil zu Hause sein kann. «Umgekehrt stellen wir keine Ansprüche, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten wir arbeiten.» Flexibilität pur – von beiden Seiten. Auch dank dem regelmässigen sozialpartnerschaftlichen Austausch mit transfair.