Die Teuerung im Fokus

Die Teuerung im Fokus

Aufgrund des spürbaren Preisanstiegs in diesem Jahr nehmen auch die Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmenden und Pensionierten erheblich zu. Im Hinblick auf die Lohnverhandlungen im Herbst 2022 geht transfair im Detail auf die Teuerung ein.

Albane Bochatay
ältere Frau erschrocken über teuere Lebensmittelpreise

Steigende Lebenshaltungskosten

Dieses Jahr scheinen die Preise zu explodieren. In der Schweiz erreicht die Inflation den höchsten Stand seit 1993. Die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-Krise, der Krieg in der Ukraine, aber auch die Engpässe in den Lieferketten haben die Preise für Energie und andere Waren und Dienstleistungen in die Höhe schnellen lassen. Zuvor hatte die Schweiz mehrere Jahrzehnte mit niedriger Teuerungsrate erlebt, seit 1991 lag diese – mit Ausnahme von 2008 – jeweils unter 2 Prozent.

Was genau ist Teuerung überhaupt?

Damit ist der allgemeine und dauerhafte Anstieg des Preisniveaus gemeint. Oder: Die Teuerungsrate ist definiert als Wachstumsrate des Preisniveaus. Die Begriffe Teuerung und Inflation werden deckungsgleich verwendet. In unserem Land misst man diese Rate hauptsächlich mit dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK). Der LIK misst die Teuerung von Konsumgütern und Dienstleistungen (z.B. Nahrungsmittel, Bekleidung, Wohnen, Energie, Verkehr) in der Schweiz. Das Bundesamt für Statistik (BFS) berechnet den LIK.

Wie sieht es derzeit aus?

Die Teuerung ist im August 2022 im Vergleich zum Juli 2022 erneut angestiegen. Der Jahresvergleich ist eklatant: Die Preise sind im August 2022 im Vergleich zum August 2021 um 3,5 Prozent gestiegen. Darüber hinaus ist 2023 mit einem deutlichen Anstieg der Krankenversicherungsprämien zu rechnen. Die Inflation, die in den einzelnen Haushalten und Regionen der Schweiz unterschiedlich empfunden wird, trifft Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders hart.

Der LIK – eine zentrale Messgrösse für die Sozialpartnerschaft

Der LIK dient als Grundlage für die Lohnverhandlungen mit den Sozialpartnern. In den meisten Fällen stützt sich der Personalverband auf die durchschnittliche jährliche Teuerung, wenn er den Teuerungsausgleich, also den Ausgleich der steigenden Lebenshaltungskosten, für das Personal seiner Branchen fordert. Der LIK ist im Übrigen in mehreren von transfair ausgehandelten Gesamtarbeitsverträgen verankert. Angesichts der hohen Inflation hat sich transfair intensiv mit diesem Index beschäftigt, der für die Schweizer Konjunktur eine entscheidende Rolle spielt. Der Personalverband hat ein spannendes Gespräch mit dem Direktor des BFS, Herrn Georges-Simon Ulrich, geführt. 

Preis-Explosion

An der Tanksäule oder im Supermarkt machen sich die Auswirkungen der Inflation bemerkbar. Die Preissteigerungen sind jedoch von Sektor zu Sektor unterschiedlich. In erster Linie sind die Energiepreise stark angestiegen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Im Jahresvergleich (Juli 2022 vs. Juli 2021) stiegen die Preise für Energie und Kraftstoffe laut BFS um 27,8 Prozent. Der Preis für Heizöl stieg um 76,2 Prozent, der Benzinpreis stieg um 30,9 Prozent an. Auch Lebensmittel sind betroffen: Der Preis für Teigwaren stieg beispielsweise um 14 Prozent. Mit dem erwarteten starken Anstieg der Krankenkassenprämien (zwischen 5 und 10 Prozent im Jahr 2023) und Mieten droht den Haushalten ab dem nächsten Jahr ein regelrechter Kostenschock.

Dringend notwendige generelle Lohnerhöhungen

In der Schweiz steht die Kaufkraft der Haushalte unter Druck, da die zu geringen Reallohnerhöhungen der letzten Jahre nicht ausreichen, um mit der Inflation Schritt zu halten. Hier muss sich dringend etwas ändern. Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travail.Suisse, betont: «Das Gebot der Stunde sind substanzielle Lohnerhöhungen, damit die Kaufkraft der Arbeitnehmenden nicht schrumpft und alle von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitieren.» Im Lohnherbst 2022 wird transfair mindestens den Teuerungsausgleich für alle Angestellten im öffentlichen Dienst fordern und die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere den Anstieg der Krankenkassenprämien, berücksichtigen. Denn auch wenn der Prämienanstieg nicht im LIK berücksichtigt wird, sind seine Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen der Haushalte sehr real.

Teuerungsausgleich auf Renten

Was die Pensionierten betrifft, so müssen die Pensionskassen gesetzlich keinen Teuerungsausgleich auf Renten gewähren. Hier besteht dringender Handlungsbedarf des Parlaments, um die BVG-Renten auf der Basis der prognostizierten Teuerung voll anzupassen. Die Pensionskassen können aber von sich aus einen Teuerungsausgleich auf Renten der beruflichen Vorsorge gewähren. transfair engagiert sich deshalb über seine Vertretungen in den Entscheidungsgremien der Pensionskassen (z.B. Stiftungsrat comPlan, Kassenkommission PUBLICA) für die Pensionierten. Der Personalverband setzt sich ein für den Erhalt von tragfähigen und nachhaltigen Renten und für angemessene Pensionslösungen. Dank seines Einsatzes und der hervorragenden Arbeit der Vertretungen können für die zweite Säule möglichst nachhaltige und faire Lösungen gefunden werden. Anders als die BVG-Rente wird die AHV mittels des sogenannten Mischindexes in der Regel alle zwei Jahre an Preis- und Lohnsteigerungen angeglichen. Weil in diesem Jahr die Lohnentwicklung der Teuerung hinterherhinkt, drohen aber reale Verluste bei den Renten. Travail.Suisse, der Dachverband von transfair, setzt sich dafür ein, dass der Mischindex richtig angewendet wird. Dieser muss gemäss den neusten hohen Inflationsprognosen und korrekten Lohndaten angepasst werden, was aktuell nicht der Fall ist. Um Rentenverluste möglichst zu verhindern, braucht es zudem in diesem Jahr eine stärkere Anpassung an die Teuerung. Entsprechende Vorstösse sind im Parlament hängig.

Prognosen für die Zukunft

Die Teuerung dürfte in den kommenden Jahren dauerhaft erhöht bleiben (plus 1,4 Prozent im Jahr 2023 laut den Teuerungsprognosen des Bundes). Obschon die Schweizer Wirtschaft gesund ist, sind nachhaltige Lösungen zur Erhaltung der Kaufkraft dringend erforderlich. Auf politischer Ebene müssen insbesondere Lösungen zur Kostensenkung im Gesundheitssektor gefunden werden, um die Kostenexplosion abzufedern. Noch ein Hinweis: Der LIK ist nicht der einzige Index, der in der Schweiz zur Berechnung der Inflation veröffentlicht wird. Der Comparis-Verbraucherpreisindex unterscheidet sich vom LIK, da er die Auswirkungen von Preisänderungen bei langlebigen Gütern (z.B. Waschmaschine) und Mieten ausschliesst und nur Güter erfasst, die oft konsumiert werden. Das Ergebnis: Es wird die tatsächlich wahrgenommene Teuerung berechnet. Gemäss diesem Index war die Inflation im Juni 2022 höher als die vom BFS berechneten Werte. Der Begriff der Teuerung wird weiterhin im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussionen stehen. Sicher ist, dass transfair alles daransetzen wird, pragmatische und zeitgemässe Lösungen zugunsten des Personals in seinen Branchen zu finden.

Interview mit Georges-Simon Ulrich

transfair hat mit Georges-Simon Ulrich, Leiter BFS, ein Gespräch über den LIK und die derzeitige wirtschaftliche Lage geführt.

Herr Ulrich, die Teuerung und der LIK sind derzeit in aller Munde. Worum handelt es sich dabei und wer erstellt diesen Index?

Der LIK misst, wie stark die Preise der von privaten Haushalten konsumierten Waren und beanspruchten Dienstleistungen im Vergleich zur Vorperiode gestiegen sind. Diese Messung wird vom BFS in Auftrag gegeben und publiziert. Neben dem Bruttoinlandprodukt ist der LIK wohl der wichtigste Wirtschaftsparameter der Schweiz. Müssen die Haushalte für die gleichen Waren und Dienstleistungen mehr bezahlen als in der Vorperiode, spricht man von Teuerung. Das Geld hat somit nicht mehr die gleiche Kaufkraft. Das kann dazu führen, dass die Haushalte den Konsum einschränken, und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben.

Wie wird der LIK kalkuliert?

Der LIK basiert auf mehreren Elementen: dem Warenkorb, der Struktur und Gewichtung, der Preiserhebung und der Berechnung. Der Warenkorb beinhaltet die wichtigsten Waren und Dienstleistungen, welche die Haushalte konsumieren und beanspruchen. Dieser Warenkorb wird wiederum in zwölf verschiedene Ausgabekategorien unterteilt und gewichtet. Hierfür wird das tatsächliche Ausgabeverhalten der Haushalte ermittelt und als Basis genommen. Um die Preise korrekt erheben zu können, werden pro Monat rund 100 000 Preise innerhalb der Schweiz erfasst. Daraus wird schliesslich der Index berechnet: Die zum Referenzzeitpunkt erfassten Preise werden mit den aktuellen verglichen.

Was sagt der LIK aus?

Die LIK-Resultate werden jeden Monat auf der BFS-Website veröffentlicht, und zwar als Indizes, Veränderungsraten und Beiträge. Diese Angaben zeigen auf, um wie viel die Konsumgüter teurer geworden sind gegenüber dem Vormonat, Vorjahr oder einem anderen früheren Zeitpunkt.

Welche Elemente werden im LIK nicht berücksichtigt und wieso ist zum Beispiel die Entwicklung der obligatorischen Krankenversicherung nicht Teil des LIK?

Der LIK ist ein reiner Preisindex. Krankenkassenprämien setzen sich hingegen aus der Menge der beanspruchten Dienstleistungen und Medikamente und deren Preis zusammen. Weil die Schweizer Bevölkerung laufend mehr Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nimmt, steigt also die Menge überproportional an. Es werden mehr Arztbesuche unternommen, mehr Medikamente eingenommen etc. Dies spiegelt sich in der Prämienentwicklung wider. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung sind das zunehmende Alter der Bevölkerung, grösserer Wohlstand und somit grösserer Bedarf an Gesundheitsleistungen sowie der technologische Fortschritt im Gesundheitswesen, der natürlich seinen Preis hat. Weil der LIK mit einem Mengengerüst arbeitet, also mit immer gleichbleibenden Mengen, können die Krankenkassenprämien nicht im Index dargestellt werden.

Es bleibt indessen unbestritten, dass die seit einiger Zeit massiv ansteigenden Krankenkassenprämien die Budgets der privaten Haushalte zusätzlich belasten. Diesem Umstand ist jedoch nicht durch eine Veränderung des für die Messung der Preisentwicklung konzipierten Landesindexes, sondern in der wirtschaftspolitischen Praxis Rechnung zu tragen, z.B. im Rahmen von Lohnverhandlungen. Hierfür wurde parallel zum Landesindex der Krankenversicherungsprämien-Index aufgebaut, welcher die Prämienentwicklung und ihren Einfluss auf die verfügbaren Einkommen aufzeigt.

Was sind die Prognosen für 2023 bzw. gibt es schon Prognosen für die nächsten drei Jahre?

Der LIK beruht auf einer konkreten Messung und kann daher nur Aussagen zur Vergangenheit liefern. Das BFS publiziert deshalb keine Teuerungsprognosen. Teuerungsprognosen werden hingegen zusammen mit den übrigen Wirtschaftsprognosen von der Expertengruppe des Bundes für Konjunkturprognosen erstellt. Aktuell werden eine durchschnittliche Jahresteuerung von 2,5 Prozent für 2022 sowie 1,4 Prozent für 2023 erwartet (Stand: Juni 2022).

 

Lieber Herr Ulrich, transfair dankt Ihnen auch im Namen seiner Mitglieder herzlich für dieses aufschlussreiche Gespräch.